Angelika Stenzel-Twinbear

Brandschutz-Ingenieurwesen


Fire Protection Engineering

 
 

OEE – Occupant Evacuation Elevators

Der nachfolgende Artikel wurde im September 2018 im FeuerTrutz-Magazin veröffentlicht.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 führten in den USA dazu, Aufzüge in das Flucht- und Rettungswegkonzept mit dem Ziel einzubinden, deutlich mehr Personen in kürzerer Zeit aus einem Gebäude zu evakuieren und den Rettungskräften einen schnellen und gezielten Zutritt in die Geschosse zu ermöglichen.

Untersuchungen zum Aufzugweiterbetrieb wurden durch die General Service Administration (GSA) bzw. durch das National Institute of Standards and Technology (NIST) durchgeführt. In [1] werden Evakuierungsversuche in Hochhäusern beschrieben, die sich in ihrer Höhe, der Zahl der Aufzüge/Treppenräume und der Personenauslastung unterscheiden. Die Probanden wurden aufgefordert, das Gebäude nur über die Treppen, nur über Aufzüge und kombiniert über Treppen und Aufzügen zu verlassen.

Beste Zeiten wurden bei der Nutzung von Treppen und Aufzügen ermittelt. Ein Nutzungsverhältnis von 75 % (Treppe) und mindestens 25 % (Aufzug) wurde in [2] festgeschrieben.

Am größten war der Optimierungseffekt beim höchsten Gebäude. Im Jackson Federal Building (36 Geschosse/ 3.021 Personen) konnte die Evakuierungszeit bei paralleler Nutzung von Treppen und Aufzügen fast halbiert werden. Mit Verringerung der Gebäudehöhe nahm der Effekt deutlich ab. Ursächlich ist die erforderliche Wartezeit am Aufzug im Verhältnis zur Laufzeit auf der Treppe. Eine Verkürzung der Evakuierungszeit wurde jedoch bei allen untersuchten Gebäuden festgestellt.

Konsequenterweise wurden die Maßnahmen zur Nutzung von Aufzügen im Brandfall zuerst für Hochhäuser entwickelt. In [1] werden folgende Gründe für den Weiterbetrieb des Aufzugs genannt:

  1. Personen verlassen i.d.R. ein Gebäude auf dem Weg, auf dem sie es betreten haben.
  2. Reduzierung der Fluchtweglänge
  3. Reduzierung der Gesamt-Evakuierungszeit
  4. Erschöpfung der Flüchtenden auf Treppenläufen
  5. Erschöpfung der Einsatzkräfte, insbesondere bei Gebäuden >6 Geschosse
  6. Fluchtweg für Menschen mit Einschränkung der Beweglichkeit und ältere Personen
  7. Kein Begegnungsverkehr von Flüchtenden und Rettungskräften in den Treppenräumen
  8. Ohne Begegnungsverkehr kann ggf. die Breite der Treppenläufe und/oder die Zahl der Treppenräume reduziert werden.

Als Risiken werden genannt:

  1. Verhalten der Nutzer
  2. Überladung des Fahrkorbs
  3. Umdenken der Nutzer erforderlich
  4. Kontrollmöglichkeit der Aufzugstechnik
  5. technische Zuverlässigkeit
  6. Kommunikation/Informationsvermittlung

Die Risiken wurden analysiert und Lösungen entwickelt – der Occupant Evacuation Elevator (OEE) ist in den USA seit 2009 geregelter Bestandteil der Flucht- und Rettungswege in Hochhäusern. Der Kommentar zum “International Building Code” eröffnet ausdrücklich die Möglichkeit zur Anwendung der Komponenten bei anderen Gebäudetypen.

Passen diese Komponenten zur deutschen Hochhausrichtlinie (MHHR)? Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein?

Der Aufzugvorraum eines OEE soll unmittelbar an einen notwendigen Treppenraum gekoppelt sein. Ein gesicherter Weg vom Aufzugvorraum zum Treppenraum ist ebenfalls möglich. Flüchtende sollen den gesicherten Bereich des Flucht- und Rettungswegs nicht mehr verlassen müssen, unabhängig davon, ob sie sich für die Nutzung der Treppe oder des Aufzugs entscheiden. Die Fläche des Aufzugvorraums ist für ≥ 25% der Geschossnutzer zzgl. eines Rollstuhlstellplatzes pro 50 Geschossnutzer auszulegen.

Nutzung von Aufzügen im Brandfall - Ein Beispiel aus den USA (Schema)
Schema: Bei der Konzeption eines OEE (Occupant Evacuation Elevator) in Deutschland wären nur die hier in “blau” dargestellten Maßnahmen zusätzlich zur MHHR notwendig.

Bsp.: 200 Personen/Geschoss

Pro Person wird eine Fläche von 0,27 m² (0,6 m * 0,45 m) angesetzt.
Ein Rollstuhl wird mit 1,17 m² (0,9 m * 1,3 m) berücksichtigt.
Der Aufzugvorraum benötigt folgende Fläche:

  • 200 Personen/4 (25%) = 50 Personen
  • 50 Personen * 0,27 m² = 13,5 m²
  • 1 Rollstuhlfläche/50 Pers. * 200 Pers. = 4 Rollstuhlflächen
  • 4 * 1,17 m² = 4,68 m²
  • Aufzugvorraum = 13,5 m² + 4,68 m² = 18,18 m². Die Mindesttiefe des Vorraums soll 2,5 m betragen, d.h. 18,18 m²/2,5 m = 7,3 m; es ergibt sich ein Raum z.B. mit den lichten Abmessungen 2,5 m/7,3 m.

OEEs werden auf der Grundlage eines Brandschutz- und Evakuierungskonzepts genehmigt. Der Weiterbetrieb erfolgt nur bis zur automatischen oder manuellen Auslösung des “Phase I recall”. Automatische Brandmelder befinden sich in den Fahrschächten, Aufzugsvorräumen und Aufzugstechnikräumen. Alle OEEs sind an eine Notstromversorgung angeschlossen.

Mit Auslösung der Brandmeldung im Gebäude wird eine Programmierung mit dem Ziel aktiviert, die Anforderungen aus dem Brandgeschoss und aus den zwei Geschossen über und unter dem Brandgeschoss abzuarbeiten (OEO – Occupant Evacuation Operation). Der Aufzug fährt vom Anforderungsgeschoss ohne Zwischenhalt in das Evakuierungsgeschoss (Shuttle Mode).

Damit wird erreicht, dass die kritischen Geschosse beim Eintreffen der Feuerwehr weitestgehend geräumt sind. Auch Menschen mit Mobilitätseinschränkung haben diese Geschosse bereits verlassen. Die Einsatzkräfte können ihre Aufmerksamkeit auf die Brandbekämpfung konzentrieren.

Die Einsatzleitung entscheidet, ob eine Gesamtevakuierung des Gebäudes eingeleitet wird. Fällt diese Entscheidung, werden die Anforderungen vom höchstgelegenen Geschoss abwärts abgearbeitet (Programmierung: EEO – Elevator Emergency Operation). Die längsten Flucht- und Rettungswege erhalten die Unterstützung durch den Aufzug (Shuttle Mode). Die beiden Programmierungen wirken auch unabhängig von der Entscheidung der Einsatzleitung.

Optische Signale und Sprachdurchsagen informieren die Nutzer in den Geschossen über den Notfall und darüber, ob der Aufzug ihnen zur Verfügung steht oder nicht. Unterstützt wird die Räumung z.B. durch ausgebildete Evakuierungshelfer oder andere geeignete organisatorische Maßnahmen in den Geschossen. In allen Aufzugsvorräumen befinden sich Gegensprechanlagen zur Kommunikation mit den Einsatzkräften.

Eine Statusanzeige (Monitoringsystem) gibt der Einsatzleitung Überblick über

  1. die Position jedes Fahrkorbs,
  2. die Fahrtrichtung jedes Fahrkorbs,
  3. den Beladungsstatus jedes Fahrkorbs,
  4. den Status wichtiger Versorgungssysteme, z.B. Energieversorgung der Aufzugstechnik,
  5. den Status der Notstromversorgung,
  6. die Aktivierung von Brandmeldern in Aufzugsvorräumen, Aufzugstechnikräumen, Fahrschächten

Es ist eine Bedienvorrichtung zur manuellen Auslösung des “Phase I recall” vorhanden.

Nun kann es vorkommen, dass Anforderungen aus den fünf kritischen Geschossen kommen, nachdem sie als “geräumt” galten. Ursächlich können Nachzügler, Verletzte oder Personen anderer Geschosse sein, die zunächst die Treppe nutzten und später, z.B. aus Erschöpfung, zum Aufzug wechseln. In diesen Fällen wird der nächste freie Fahrkorb automatisch in dieses Geschoss gesandt. Alternativ kann der OEE manuell in das Geschoss gesteuert und die Evakuierung durch Einsatzkräfte unterstützt werden.

OEEs verfügen hierzu über einen Schalter (“per car” Phase I recall switch), der es den Einsatzkräften jederzeit erlaubt, den Evakuierungsmodus zu unterbrechen und in den Einsatzmodus zu wechseln (FEO phase II – Firefighter Emergency Operations). Die einzelnen Fahrkörbe operieren unabhängig voneinander – parallel, im Evakuierungs- und im Einsatzmodus. Erfordert es die Situation, können mehr, auch alle OEEs von den Einsatzkräften verwendet werden (“group” switch).

Die im Schema “blau” markierten Maßnahmen ergänzen die Anforderungen der MHHR:

  1. Evakuierungskonzept
  2. Verbotskennzeichnung wird durch eine OEE-Kennzeichnung ersetzt
  3. Bemessung des Aufzugvorraums
  4. Sichtbezug in den Aufzugvorraum
  5. keine nasse Steigleitung im Aufzugvorraum, diese liegt im Vorraum des Sicherheitstreppenraums
  6. bei gesprinklerten Gebäuden sind Maßnahmen zum Schutz der Aufzugtechnik erforderlich
  7. angepasste Aufzugsteuerung/ Brandfallsteuerung
  8. Monitoringsystem und
  9. Anforderungstaster pro Aufzug erforderlich – kein Sammelruf.

Fazit

Der Aufzugweiterbetrieb im Brandfall ist möglich und wird in anderen Ländern bereits praktiziert. Der Occupant Evacuation Elevator (OEE) ist mit dem deutschen Bauordnungsrecht grundsätzlich kompatibel. Es bedarf einer Anpassung der Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Öffnungen zum Treppenraum bzw. Vorraum.

Die Prinzipien des OEE lassen sich auf andere Gebäudetypen übertragen.
Zu diesem Thema habe ich einen weiteren Artikel geschrieben, der in der Ausgabe 6.2018 des FeuerTrutz Magazins veröffentlicht wurde (erschienen am 14. November 2018).

Danksagung

Besonders danke ich Herrn Brandinspektor Dipl.-Ing. Maynhard Schwarz, der mit seiner ansteckenden Begeisterung für Aufzugstechnik und seinem konstanten Engagement für die Belange von Menschen mit Behinderung mein Interesse an dem Thema geweckt hat.

Während meiner Aufenthalte in den USA fielen mir Aufzüge auf, die sich in Details von den Aufzügen in Deutschland unterscheiden und augenscheinlich im Brandfall als Rettungsweg genutzt werden. Einmal neugierig geworden führte mich mein Weg in verschiedene Universitätsbibliotheken der Vereinigten Staaten von Amerika. Ich hatte das Glück und die Ehre Herrn Carl D. Wren, Fire Safety & Code Consulting Services, kennen zu lernen, der mich auf den Kommentar zum International Building Code hinwies.

Mein größter Dank gilt Susan Twinbear. Vielen Dank für die tolle Zeit und deine Unterstützung bei den Recherchen und Übersetzungen!

Literatur

[1] ELEVATORS FOR OCCUPANT EVACUATION AND FIRE DEPARTMENT ACCESS “, E. KULIGOWSKI, National Institute of Standards and Technology, Gaithersburg, MD 20899, USA, 2003

[2] International Building Code (IBC), Vereinigte Staaten von Amerika

[3] Muster-Richtlinie über den Bau und Betrieb von Hochhäusern (Muster-Hochhaus-Richtlinie – MHHR) in der Fassung vom April 2008