Angelika Stenzel-Twinbear

Brandschutz-Ingenieurwesen


Fire Protection Engineering

 
 

Anwendung der Merkmale eines “Occupant Evacuation Elevator” (OEE) auf Gebäude anderer Art und Nutzung

Der nachfolgende Artikel wurde im November 2018 in der Ausgabe 6.2018 des FeuerTrutz Magazins veröffentlicht. Teil 1 erschien in der Septemberausgabe des FeuerTrutz-Magazins 2018.

In der Ausgabe 05-2018 des FeuerTrutz-Magazins wurde der „Occupant Evacuation Elevator – OEE“ vorgestellt. Einen durch den Gebäudenutzer selbstständig verwendeten Evakuierungsaufzug, der in den Vereinigten Staaten zunächst für Hochhäusern entwickelt wurde.

Je höher ein Gebäude ist, umso wirkungsvoller unterstützt der „OEE“ die Evakuierung. Bei einer kombinierten Nutzung von Treppen und Aufzugsanlagen reduziert sich die Gesamt-Evakuierungszeit deutlich.

Bei niedrigeren Gebäuden schrumpft dieser Vorteil auf Sekunden. Doch auch hier hilft der Aufzug bei der Räumung, insbesondere bei Gebäuden, die von einer größeren Zahl älterer Menschen und Personen mit Mobilitätseinschränkungen verwendet werden, oder in denen Geschosse mit hoher Personenauslastung vorhanden sind (z.B. Versammlungsräume).

Die alleinige oder überwiegende Nutzung des Aufzuges verschlechtert i.d.R. die Gesamt-Evakuierungszeit. Ursächlich sind die erforderlichen Wartezeiten in den Aufzugsvorräumen im Verhältnis zur Laufzeit auf der Treppe.

Deshalb sind die Informationsvermittlung an den Nutzer und ein Evakuierungskonzept wichtige Grundlagen der Planung.

Die Nutzungsverteilung Aufzug/ Treppe wird über die Dimensionierung des Aufzugvorraums beeinflusst, der einsehbar gestaltet wird. Weitere wichtige Parameter sind

  1. die Informationsvermittlung (Aufzugskennzeichnung, Verfügbarkeitsanzeige/-durchsage/ Erkennbarkeit der Außerbetriebnahme, Gegensprechanlage zur Kommunikation mit den Einsatzkräften, Evakuierungshelfer in den Geschossen)
  2. die spezielle Aufzugsprogrammierung
  3. die sichere Stromversorgung
  4. die enge räumliche Verbindung zwischen dem „OEE“ und dem notwendigen Treppenraum. Ein gesicherter Verbindungsweg zwischen ihnen ist möglich.
  5. Die Flucht- und Rettungswege verlaufen parallel – für alle Nutzer. Entsprechend erfolgt die Rettungswegkennzeichnung einheitlich. Erst wenn der brandschutztechnisch abgesicherte Bereich erreicht ist, splitten sich die Flucht- und Rettungswege in barrierefrei (Aufzug) und Treppe, was entsprechend gekennzeichnet wird, sofern es nicht unmittelbar augenscheinlich ist.
  6. die Überwachung der Aufzugsschächte, Aufzugsvorräume (im Evakuierungsgeschoss bis zum Ausgang ins Freie) und der Aufzugstechnikräume mit automatischen Meldern. Nur das Auslösen dieser automatischen Melder schaltet den „OEE“ ab. Ein nutzerbestimmter Weiterbetrieb ist dann nicht mehr sicher. Der Weiterbetrieb ist jetzt nur noch kontrolliert durch die Einsatzkräfte der Feuerwehr möglich.
  7. die Eingriffsmöglichkeit der Feuerwehr ist in jeder Phase des Evakuierungsmodus durch Einzel- und Gruppenschalter gewährleistet.
  8. die Überwachung des Aufzugbetriebs erfolgt durch ein „Monitoring System“ – insbesondere bei Hochhäusern.
  9. bei Gebäuden mit Sprinkleranlagen sind Maßnahmen zum Schutz der Aufzugstechnik erforderlich (z.B. Rinnen, Gefälle, Schwellen). Sprinkler dürfen u.a. nicht in Fahrschächten und Aufzugstechnikräumen eingebaut werden. Diese Räume werden durch Rauchwarnmelder überwacht, deren Aktivierung den Aufzug abschaltet.

Aufgrund bauordnungsrechtlicher Regelungen müssen in den Vereinigten Staaten Gebäude mit mehr als 3 Geschossen und Gebäude, die von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen verwendet werden, mit einem Aufzug ausgestattet werden, der Merkmale eines Feuerwehraufzugs aufweist. Man findet diese Art von Evakuierungsaufzügen selbst bei 2-geschossigen Gebäuden.

Diese „kleinen“, durch den Nutzer und/oder die Feuerwehr verwendeten Evakuierungsaufzüge sind dadurch gekennzeichnet, dass sie mindestens über eine sichere Stromversorgung und einen Schlüsselschalter für die Feuerwehr verfügen. Aufzüge diesen Typus sind im freien Luftzug, an einer sichereren Stelle der Fassade angeordnet. Verfügen sie über eine „OEE“-Steuerung, fehlt die Verbotskennzeichnung „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“.

Anwendungsbeispiele

VIOLET CROWN CINEMA | Austin, Texas

Bei dem gezeigten Kino wurde interessanter Weise der eigene PKW in das Evakuierungskonzept einbezogen. Nutzer des Kinos können in die mehrgeschossige, gesprinklerte, feuerbeständig abgetrennte Großgarage fahren, die im 1.OG über einen Zugang zum Laubengang verfügt. Vom Laubengang erreicht man das Kino. Fußgänger erreichen über die in der Abbildung erkennbare Treppe oder den Aufzug den Laubengang.

Zugang Violet Crown Cinema, Austin, TX

Im Notfall führt der Fluchtweg in entgegen gesetzter Richtung, über die Rampe der Garage zum Ausgang ins Freie. Der Aufzug, der nur das EG mit dem Laubengang verbindet, ist ein weiterer, eigenständig nutzbarer, barrierefreier Flucht- und Rettungsweg, sowohl für das Kino als auch die Garage.

Der Schlüsselschalter der Feuerwehr erlaubt das Überschreiben der Rauch- und Wärmemeldern im Fahrschacht. Bei einem Brand im Erdgeschoss (Ladenzeile) könnte sich, bei ungünstigen Windverhältnissen, Rauch im Fahrschacht sammeln. Der Aufzug schaltet in diesem Fall automatisch ab.

JOHNSON SPACE CENTER | Houston, Texas

Sieht das Evakuierungskonzept eine durch Rettungskräfte kontrollierte Räumung über den Aufzug vor, ist die sichere Stromversorgung, der Schlüsselschalter für die Feuerwehr und die Verbotskennzeichnung „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“ vorhanden.

Johnson-Space-Center Houston, Zugang Spaceshuttle Independence

Ein Beispiel für diese Art des Aufzugweiterbetriebs im Brandfall ist der Treppenturm mit Aufzugsanlage, der neben dem Spaceshuttle „Independence“ im Johnson Space Center in Houston errichtet wurde. Der Aufzug ist im freien Luftzug angeordnet. Er kann im Brandfall genutzt werden, kontrolliert durch den eingewiesenen Sicherheitsdienst bzw. die Feuerwehr. Er ist mit dem Verbotszeichen „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“ gekennzeichnet. Diese Entscheidung wurde vermutlich getroffen, da die Ausstellung stark von Kindern und Jugendlichen frequentiert wird und Sicherheitspersonal ständig vor Ort anwesend ist.

Büro- und Verwaltungsgebäude | Wiesbaden, Hessen

Beispiele für nutzerbestimmte Evakuierungsaufzüge gibt es inzwischen auch in Deutschland. Bei einem Verwaltungsgebäude in Hessen wurde solch ein Aufzug nachgerüstet.

Büro- und Verwaltungsgebäude, Zugang ins Erd- und 1. Obergeschoss (Rampe, Aufzug, Treppenraum)

Der Aufzug ist an einer sicheren Stelle der Fassade errichtet. Er verbindet das EG mit dem 1.OG. Der Zugang liegt im EG im freien Luftzug, im OG wurde die Wartezone als durchlüfteter Balkon geplant, der vom notwendigen Treppenraum aus betreten wird. Für den Weiterbetrieb im Brandfall benötigt der Aufzug u.a. die ausreichend dimensionierte Wartezone und eine sichere Stromversorgung (z.B. über eine „Sprinklerpumpenschaltung“).

Mehrfamilien-Wohngebäude | Dortmund, Nordrhein-Westfalen

Das nachfolgende Projekt verfügt derzeit nicht über einen nutzerbedienten Evakuierungsaufzug – bietet sich jedoch hervorragend hierfür an: „Wir wohnen anders” in Dortmund.

Innenhofaufnahme mit Blick auf den freistehenden Aufzug, Projekt: "Wir wohnenn anders" in Dortmund

In dem 3-geschossigen Mehrfamilienhaus (26 Wohnungen) sind alle Wohnungen barrierefrei gestaltet. Im Außenbereich wurde ein durchgängig stufenloser Zugang über Rampen errichtet. Zur selbstständigen Orientierung von sehbehinderten und blinden Bewohnern wurden minimale Kanten und Belagswechsel eingebaut, die mit dem Blindenstock auffindbar sind. Zusätzlich wurden Einzelstufen in den Außenanlagen kontrastreich markiert. Die Unter- und Obergeschosse sind über einen Aufzug erreichbar. Die Schwellen der Wohnungs- und Terrassentüren sind ebenengleich abgesenkt.

Der außen liegende Aufzug wurde im freien Luftzug, unmittelbar gegenüber einer Außentreppe errichtet. Im 2. Obergeschoss besteht zusätzlich eine Ausweichmöglichkeit über den jeweils abgewandten Laubengang und weiteren Außentreppen an dessen Enden. Die Wartezonen sind ausreichend dimensioniert.

Um den Aufzug im Brandfall als Flucht- und Rettungsweg zu nutzen, benötigte dieser eine sichere Stromversorgung, z.B. in Form einer „Sprinklerpumpenschaltung“, die Kennzeichnung als nutzerbedienter Evakuierungsaufzug, die automatische Überwachung der Aufzugstechnikräum(e) und des Fahrschachts mit Signalweiterleitung an die Aufzugsanlage und entsprechender Aufzugsprogrammierung, eine Verfügbarkeitskennleuchte und den Schlüsselschalter für die Feuerwehr. Die Informationsvermittlung an die Bewohner ist über die genossenschaftlichen Nutzungsverträge (vgl. Mietvertrag) möglich. Netzgepufferte Einzelbatterieleuchten in den Wartezonen und im Verlauf der dem Aufzug gegenüberliegenden Außentreppe würden die Evakuierung bei Stromausfall unterstützen. Der Aufzug wäre in diesem Fall über die „Sprinklerpumpenschaltung“ weiterhin mit Strom versorgt.  Ein Überspannungsschutz (innerer Blitzschutz) würde die sicherheitstechnische Anlage „Aufzug“ schützen.

Gebäude jeder Art und Nutzung mit mindestens zwei Brandabschnitten

Gebäude mit mindestens zwei Brandabschnitten bieten sich ebenfalls für den Aufzugweiterbetrieb im Brandfall an. Es spricht nichts dagegen, den Aufzug im nicht vom Brand betroffenen Brandabschnitt weiter fahren zu lassen. Er sollte bevorzugt innerhalb eines notwendigen Treppenraums errichtet werden. Denkbar ist auch eine Position des Aufzugs außerhalb des notwendigen Treppenraums. Doch in diesem Fall würden die Flucht- und Rettungswege nicht mehr parallel verlaufen. Die Informationsvermittlung und das Evakuierungskonzept werden anspruchsvoller.

Fazit

Die vorangegangenen Beispiele zeigen die Anwendung der Prinzipien des „OEE“ bei Gebäuden anderer Art und Nutzung.

Eine Position des Aufzugs an einer sicheren Stelle der Fassade und im freien Luftzug erleichtert die Planung. Gebäude mit mehreren Brandabschnitten bieten sich ebenfalls an.